Love the Machine, hate the Factory oder: Das Kreuz mit dem Steampunk

Mit Steampunk ist es wie mit EuroBonds: Alle reden davon, aber keiner weiß, was es ist.

Unter dem Label Steampunk veröffentlicht Feder&Schwert schon seit 2009 Titel des gleichnamigen literarischen Subgenres von Autorinnen und Autoren wie Ju Honisch, Dru Pagliassotti, Kage Baker, Oliver Plaschka und S. M. Peters. Das Steampunk-Label (s. o.) soll Lesern die Einordnung der Publikationen erleichtern und Fans des Genres die Kaufentscheidung erleichtern.

Was aber bedeutet Steampunk?

Unter Steampunk verstehe ich zuallererst ein Lebensgefühl. Es geht um Wertlegung auf Neugier und Bildung, um Eleganz und Stil (wenn auch auf gebrochnene, individualistische Weise – hier kommt der Punk in den Steam), um Aufbruchsgeist und um eine Form der Technik, die Ästhetik der Funktion überordnet. Die gleichnamige literarische Gattung, die oft dystopische, zumeist im viktorianischen Zeitalter angesiedelte, kontrafaktische Geschichte erzählt, ist eine Facette dieser Welt-Sicht. Steampunk wird meist als Variante der in den Buchläden und den Köpfen der Leserschaft allenfalls noch ein arges Gnadenbrot fressenden Science-fiction bezeichnet, kommt jedoch oft auch im Gewand einer Steamfantasy-Erzählung daher, die sich durch eine alternative Hintergrundwelt mit typischen Steampunk-Elementen auszeichnet, in der zusätzlich zur Dampfmaschinentechnik auch Magie wirksam ist. Die Werke von Jules Verne und H. G. Wells gehören damit aus meiner Sicht im Sinne in einer retrospektiven Definition heute zum Steampunk, auch wenn der Begriff zum Zeitpunkt ihres Entstehens noch lange nicht geprägt war. Darüber kann man sicher streiten, unstrittig ist aber, dass sie als Vorlage für diese Literaturgattung gelten.

Während die Ästhetik und die Konzepte dieser frühen Inspirationen in jüngerer Vergangenheit immer wieder Verwendung fanden, wurde der Begriff „Steampunk“ (wohl) erst 1987 geprägt, als der US-Autor K. W. Jeter in einem Brief an das Locus Magazine eine Genrebezeichnung für den exzentrisch-historischen Stil seiner eigenen Romane und die seiner Schriftstellerkollegen Tim Powers und James Blaylock vorschlug – etwas scherzhaft, mit Anspielung auf das ebenfalls recht neue Genre Cyberpunk.

In Steampunk-Erzählungen hat Dampfkraft eine deutlich größere Bedeutung erlangt als in der Realität. Nicht nur Eisenbahnen werden mit Dampfmaschinen betrieben, sondern auch Computer/Cogitatoren, Flugapparate aller Art und andere phantastische Maschinen. Elektrizität dient häufig dazu , Menschen zu heilen oder zu verändern. Magie und Geisterbeschwörungen funktionieren in einigen Werken des Steampunk auch. Mode und gesellschaftliche Werte entsprechen denen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wobei diese gelegentlich mit moderneren, in der damaligen Zeit noch nicht vorkommenden Einstellungen konfrontiert und durchmischt werden. Steampunk hat stets auch eine gesellschaftspolitische Dimension, indem er sich mit der Juxtaposition Mensch/Maschine befasst, Maschinenkritik nicht außen vor lässt und die Frage nach Beherrschbarkeit von Technik stellt. Due malochenden, maschinenunterdrückten Massen in Die Götter von Whitechapel zeigen augenfällig, dass die zeitliche Nähe zu Marx kein Zufall ist.

Traurig genug, dass die Kollegen in den sogenannten „großen Verlagen“ von all dem nichts wissen (wollen), aber einen Trend gewittert zu haben glauben und auf alles, was irgendwie Ende des 19. Jahrhunderts spielt und kein Sachbuch ist, Zeppeline und Zahnräder klatschen im Glauben, sie hätten damit einen Steampunk-Roman veröffentlicht. Bernd Perplies‘ Magierdämmerung z. B. ist alles, aber nicht das.

Was wir brauchen, ist ein Rettungsschirm. Ein dampfgetriebener nach Möglichkeit. Gegen EuroBonds-Geschwatze und Steampunk-Ignoranz.

7 Kommentare zu „Love the Machine, hate the Factory oder: Das Kreuz mit dem Steampunk

  1. Muss man das denn klassifizieren und einordnen? Ich finde das macht gerade den Reiz aus. Sich nicht festlegen, Frei und Spielräume zu haben. Ich selbst mag die Mixtur aus allem, so wie ich es auf http://yllmaryon.de praktiziere. Dort weiß ich nicth einmal selbst in welche Sparte ich das einordne. Ein wenig Fantasy, ein wenig Steampunk, ein wenig Realität. Es macht Spaß! Und darum sollte es doch letztendlich gehen.

    Ob die Verlage das raffen oder nicht ist mir eher egal. Lieber so, als dieses unsäglichen noch ein Mittelalter Roman und noch ein Ork Roman Rausgehaue.

  2. Ich finde es aber schon höflich zu antworten, wenn ich an einem Messestand nach einer Definition dessen, was wir da als Logo hängen haben, gefragt werde. Nicht mehr und nicht weniger versucht dieser Blogartikel.

    Ansonsten gebe ich Dir recht: Dieses Schubladendenken braucht niemand. Es gibt im Grunde nur eine relevante Unterscheidung: gute und schlechte Texte.

    1. Vielleicht sollte man die Verlage einfach mal direkt ansprechen? Vielleicht haben die wirklich keine Ahnung oder gar Angst?

      Oder sie fühlen sich in ihren festgetretenen „Biss zum bitteren Ende“ und „Die Xten Orks treffen die nächste wandernde Hure“ Pfaden einfach wohler?

      Natürlich geht es letztendlich um Kohle. Und Steampunk zieht hierzulande eben „noch“ nicht.

      Es hat ja auch ne Weile gedauert, bis Mittelalter und Fantasy „salonfähig“ wurden. Dann sind allerdings auch viele blöde Dinge herausgebracht worden (s.o.), weil sich plötzlich jeder nen Stückchen vom Kuchen abschneiden wollte.

  3. Ich glaube, dass nicht nur die Verlage wenig damit anzufangen wissen, sondern auch viele Spieler einfach unbedarft sind. „Abenteuerromane mit Dampfmaschinen Technologie“ steht in der Wikipedia – OK, das ist das „Steam“, aber den Anteil „punk“ beachten wenige und auch ich bislang nicht in meiner persönlichen Definition.

    Ich will seit zwei Wochen einen Artikel bei uns schreiben im Blogmagazin „Was ist Steampunk?“ aber ich fühle mich selbst nicht sicher genug, das endgültig zu definieren, denn selbst hatte ich bis auf Castle Falkenstein in den 90ern und natürlich als Jugendlicher mit Jules Verne keine Berührungspunkte bislang

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