Eins in die Fresse, mein Herzblatt

Meine folgende Besprechung erscheint heute gleichlautend auch unter der Rubrik „Alte Meisterwerke – frisch entstaubt“ auf Ein Achtel Lorbeerblatt (Link s. rechts).

Fresse_WBZu Beginn an herrscht eine eigenartige, gespannte Stille auf Eins in die Fresse, mein Herzblatt, einem ursprünglich als Live-Doppel-LP mit ausführlichem Booklet erschienenem Konzertmitschnitt des aus der DDR ausgebürgerten Liedermachers im Audimax der FU Berlin vom 25. Mai 1980.

Im Oktober steht eine Bundestagswahl an, die zu beeinflussen er sich auf Deutschlandtournee gemacht hat. Hautnaher kann man den 1936 geborenen Biermann sicher kaum erleben. Spannender ist allenfalls noch das Kölner Konzert. Der Titel der Tournee lautete „Es grünt so grün“, und entsprechend dreht sich vieles um diese anstehende Wahl, das Kanzlerkandidatenpaar Schmidt und Strauß und das damals im Parteienspektrum noch neue Phänomen der Grünen. So spottet er in der Anmoderation zu seiner berühmten Ermutigung, er habe ja, als er das Lied in der DDR schrieb, nicht ahnen können, dass es sich (wohl wegen der Zeilen „Das Grün bricht aus den Zweigen/Wir wollen es allen zeigen/Dann wissen sie Bescheid“) mal „so schön zweckentfremden lassen würde als grüne Hymne“. Aber: „Wir teilen uns das Lied jetzt einfach: Ich sing’s auch noch.“

Dieser leicht illusionslose, dabei aber zugleich lakonische und bissige Tonfall – und Biermann redet viel mit seinem Publikum, reagiert und improvisiert – bestimmt den gesamten Doppeltonträger. Schon wenn er beim Einstieg, dem Gedicht Der Herbst hat seinen Herbst auf ein Kinderlachen aus dem Publikum hin die Juxtaposition der Worte „sanft und „frisst“ ausführlich rechtfertigt wird deutlich, dass Biermann am besten im (selbst-)ironischen Dialog mit seinen ZuhörerInnen ist. Und dann zeigt er sich von all seinen Seiten, als Poet und Hetzer, Barde und Bühnenkünstler – und als sehr guter Musiker. So entstehen grelle und leise Töne, da ist Platz für Lyrik, Lieder von extremer Intensität und Worte von mitreißender Energie. Neben aktuellen Bezügen blitzt immer wieder Biermanns Biografie auf: Biermanns Vater, Kommunist und Jude, wurde 1943 in Auschwitz ermordet, und die gesamte zweite Hälfte der ersten Platte setzt sich mit Titeln wie Gemütlicher Faschismus und Hausrecht in Dachau mit dem Neofaschismus in Deutschland auseinander.

Der zweite Tonträger eröffnet mit Gesamtdeutscher Strauß eine sich über mehrere Titel hinziehende Auseinandersetzung mit dem Bayern. Strauß ist das Feindbild des Abends, Biermann karikiert seine körperlichen Merkmale: die „feiste Fratze“, den „Nackenspeck, von kaltem und heißem Schweiß bedeckt“ und wünscht ihm den Tod: „Ja, und wenn überhaupt noch ein Starfighter runter stürzen muss, dann soll es, dann soll es der Dicke sein.“ Da spricht blinde, auf Tötung des (politischen) Gegners abzielende Verbitterung, und da wird Biermann auch dem wohlmeinenden Hörer kurz fremd.

Ein wichtiges Gegengewicht ist da eins der wundervollsten Biermann-Lieder: das Totenlied auf Rudi Dutschke, seinen politischen Weggefährten, ein brennender Schmerzensruf im Rahmen einer edlen Komposition, die manchmal nur ein Klopfen auf dem Korpus der Gitarre ist und am Ende mit ein paar zarten Klängen vergeht – ein Nekrolog in Musik.

Der Titel der Platte stammt ebenfalls aus einem Moderationstext; ehe Biermann seine Variante des bekannten Liedes Trotz alledem, das auch Hannes Wader schon mehrfach neu betextete, singt, erklärt er, er nutze im Gegensatz zu anderen deutschen Liedermachern die Originalmelodie, zu der Robert Burns den Urtext schrieb: Lady McIntosh’s Reel. Die unterscheidet sich zwar nur in einem Ton, „klingt aber mehr so nach ‚Eins in die Fresse, mein Herzblatt‘“. Natürlich gibt’s auf dem Weg zu diesem furiosen Schlusslied auch „Hits“ wie die schon erwähnte Ermutigung oder Soldat, Soldat.

Es liegt ein zwölfseitiges Booklet mit allen Songtexten und Zeichnungen Biermanns bei.

Mehr unter: www.wolf-biermann.de

Alte Eidgenossen und junge Schweizer: Manuel Stahlberger – Innerorts

Klingt extrem spannend, finde ich.

Ein Achtel Lorbeerblatt

Melancholischer Satiriker mit kühlem Sound und Salzburger Stier im Gepäck

ManuelGnos

Foto:ManuelGnos@MühleHunziken2011

von Markus Heiniger

Auf dem „Lorbeerblatt“ über Manuel Stahlberger zu sprechen, ohne seine in St.Galler-Dialekt gesungenen Texte zu verstehen, ist, um hier gerade zu Beginn einen Vergleich zu wagen, wie über die Chaostheorie zu diskutieren, ohne je mit Schmetterlingen in Kontakt gekommen zu sein. Ich erlaube es mir hier (unten) deshalb kurzerhand, zwei seiner Songs zu Deutscher Prosa zu machen, so, wie es „Stiller Has“ in seinem Booklet ja auch tut. Das ist zwar ein wenig, um bei gewagten Vergleichen zu bleiben, als presse man eine Skulptur auf ein Blatt Papier. Aber ein mit Sorgfalt flachgepresster Rodin unterscheidet sich ja allemal noch ganz gut von der Silhouette eines Giacometti und diese sich wiederum vom Schattenriss einer Mickey Mouse und so weiter. – Wobei uns bei Stahlberger vielleicht eher der Maler Francis Bacon in den Sinn kommt als Giacometti. Oder…

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Vorab gehört: Cäthe, „Verschollenes Tier“

cätheZuerst eine Exkursion in die Vergangenheit: 2011 machte Cäthe mit ihrem Debütalbum Ich muss gar nichts klar, dass da ab sofort aus Hamburg eine klare, eigenständige Stimme erklingt, die deutsche Texte aus Frauenmund fernab jeder Klischees singt. Es nahm Herzen und Hirne ihrer Zuhörer im Sturm. Leicht schrullig, bestimmt nicht massenkompatibel, aber mit hohem Unterhaltungswert, an der Front eine der besten Rockvokalistinnen, die Deutschland zu bieten hat. Da können sich all die Silbermonde und Julis – nein, keine Scheibe abschneiden, denn sie spielen nicht mal im selben Stadion. Und alldem merkte man an, dass es nicht aus Kalkül geschah. Nun erscheint am 14. Juni der eigentliche Prüfstein für einen „neuen“ Künstler: Das verflixte zweite Album.

Um es vorwegzunehmen: Verschollenes Tier ist noch besser. Den Einstieg bildet Hoch oben nach dem Sturm, ein Track, der schon mal vorgibt, was die Platte bestimmt: perkussive Rhythmik, Drums, mal verhallt und geloopt, mal knallig, aber immer prägnant. Cäthe und ihre Musiker sind Rhythmus-Tiere. Weiter geht‘s mit Geister, einem Song, der ein Aufruf zur zwischenmenschlichen Solidarität ist und – auch wenn das ein großes Wort ist – einer der authentischsten Songs, die ich in letzter Zeit gehört habe. „Ich verjag‘ alle traurigen Geister/Oh du siehst schwimmende Sterne“: Manchmal ist es genau so einfach. Bemerkenswert auch der Titeltrack: Da geht es vordergründig um Kindheitserinnerungen, aber eben auch um das Tier, das Instinktive, das sich im Alltag in seinen Bau tief in uns verbirgt, das die Hamburgerin beim Musikmachen aber herauslockt, herauslässt, das freien Lauf bekommt – und wenn Cäthe gurrt, schreit, säuselt, singt, den Dreck und den Rotz ebenso in ihrem Gesang transportiert wie das ganz große Gefühl, dann bekommt das verschollene Tier eine ganz eigene Stimme. „Für Minuten ein verschollenes Tier/ich gehöre mir.“ Gekrönt wird Verschollenes Tier von einer Schlussnummer, die entspannt in den Olymp der schönsten Pop-Liebeslieder stürmt: Mein Herz mit dir bin ich frei. Liebesgeständnisse in Cäthe-Speak klingen so: „Hey du verdammter Freak/Weißt du eigentlich dass da nichts zwischen uns steht“. Das ist sperrig und fernab alles Schnulzigen – und gut.

Verschollenes Tier ist durchweg außergewöhnlich. Cäthe macht alles selbst, auch das Artwork in Booklet und CD-Hülle, quasi ein Scribble-Tagebuch der beiden Jahre, über die sie in ihren Texten reflektiert. Die Dynamik von Ich muss gar nichts ist geblieben, genau wie die Echtheit. Nebenher ist Verschollenes Tier auch noch ein Lehrstück für viele leichtgewichtigere KollegInnen: Wenn schon die eigene Beziehungsarbeit in Songs gießen, dann bitte wie in Tabula Rasa und nicht mit abgedroschenen Traum/Baum/Schaum-Reimen. „Manchmal begegnet man einem Menschen, spürt eine starke Anziehungskraft und muss sich trotzdem irgendwann eingestehen, dass man an unterschiedlichen Punkten im Leben steht. Man schenkt einander Mut und Hoffnung – aber dann reichen sie nur aus, um den anderen so zu sehen, wie er sich selbst nicht sieht“, sagt Käthe selbst dazu. Fernab von Phrasen erzählt sie die Geschichte dazu, und man weiß sofort, wovon das Lied redet. Überhaupt, die Lyrics. Das ist nichts für Einmalhinhörer, und wer meint, Liedermaching ginge maximal mit sechssaitiger Akustikklampfe, der wird hier schlecht bedient. Aber hätten wir mehr TexterInnen wie die Hamburgerin, man müsste nicht bang sein um die Attraktivität deutschsprachigen Liedgutes.

„Alles wird gut, hey warte auf mich/warte auf dein Alien“, sagt Cäthe in Alien. Hoffentlich lässt sie uns auf die nächste Platte nicht zu lange warten.

1/8 Lorbeerblatt

achtel lorbeerAllen, die Lust auf Musik mit intelligenten Texten haben, sei der Zwischennetz-Auftritt meines Autorenkollegen, des Schriftstellers David Wonschewski, ans Herz gelegt. Er heißt Ein Achtel Lorbeerblatt und befaßt sich mit Liedermachern, Kabarett, Chanson, der Hamburger Schule und allerlei weiterer interessanter Musik. Ach ja … und ab und zu rezensiere ich dort.

Schaut doch mal rein!

Im Namen des Folkes

Versengold_Im_Namen_des_FolkesGehört: Versengold/Im Namen des Folkes

Die Platte, die mir hier vorliegt, stammt schon aus dem Januar dieses Jahres. Nach einer ausverkauften Tour im Herbst 2012 zusammen mit Feuerschwanz startete die Mittelalter-Folkband Versengold mit dieser CD ins Jahr 2013. Das Cover ziert eine mit dem allgegenwärtigen Photoshop-Aufnahme zum Gemälde umgemünzte Fotografie einer leichtgeschürzten Rothaarigen in Justitia-Pose. Diese hübsche junge Dame ist im Booklet gleich noch mehrfach mit diversen Instrumenten zu sehen, die auch auf der Platte erklingen; mehr oder weniger spaßig rücken die Versengold-Spielleute ihr zu Leibe, bis sie schließlich selig lächelnd entschlummert zu Boden sinkt.

Dies ist das erste Werk, das die Band vollständig in der aktuellen Besetzung als Quintett geschrieben, arrangiert und eingespielt hat. Es ist geprägt von mehrstimmigen Geigen, satten Gitarren-Riffs, treibenden Rhythmen und vielstimmigen Chören. Der Opener, der der CD auch den Namen gegeben hat, kommt schwungvoll-tanzbar daher, und wenn ich sage, dass als Gastmusiker Matthias Richter von Schandmaul und Philipp Ianoske von Folk Inn dabei sind, wird auch gleich klar, in welche Richtung diese Musik geht.

Nach der EP Dreck am Stecken (2011) ist die Band offenbar entgegen der eigenen Ankündigung abgekommen von der Idee, reine Themen-Alben zu produzieren. Aber das macht ja nichts: Solange dabei Songs wie „Versengold“, „Kopft ihn!“, „Immer schön nach unten treten“ und „Paules Beichtgang“ herauskommen, scheren mich nicht eingehaltene Ansagen nicht. Für mich ist dies in jedem Fall das bisher stärkste Album der Band.

Akademie der Sehnsucht

ImageSebastian Krämer wurde am 23. 12. 1975 in Ostwestfalen geboren und ist nach eigenem Bekunden „seitdem (von wenigen Jahren des Erwerbs grundlegender Lebensfunktionen abgesehen) Sänger und Dichter.“ Seit seinem 1997 erschienenen, auf dem Jugendhof Vlotho (unter-)produzierten, längst vergriffenen Debütalbum „Wird nicht mehr passieren“ hat der Chansonnier und Liedermacher wahrlich einen weiten Weg zurückgelegt. Sein Werk „Akademie der Sehnsucht“ kommt zweigeteilt daher: Die erste CD, „Theoretischer Teil“ betitelt, ist ein Studioalbum, die zweite, der „Praktische Teil“, enthält Livemitschnitte aus den Jahren 2009 und 2011 aus Berlin und Düsseldorf. Und um es gleich vorwegzunehmen: Auf beiden präsentiert sich Krämer durchaus als feine Ausnahmen in der musikalisch-textlastigen Kleinkunstlandschaft. Einige Stücken liegen offenbar erst jetzt in einer Studiofassung vor. Das gilt zum einen für das herrliche „Mitleid mit Satan“, einem sehr einseitigen Dialog Krämers mit einem „schwulen Realschülerpack-Satanisten“. Zu anderen gilt es für „Darmstadt“, eine schräge Unliebeserklärung – nein, nicht an die südhessische Stadt, sondern an den dort ansässigen todgeweihten Bekannten Jens. Beide unterscheiden sich live und im Studio nicht wesentlich voneinander, so dass es des Doppelpacks nicht bedurft hätte.

Aber der Reihe nach und zunächst zum „theoretischen Teil“: Der beginnt mit „Das Ding, das die Treppe runtergehen kann“, einem mit Streichern und Bläsern daherkommender Nummer, die doch arg schlagermäßig anmutet. Krämer ist ihr eher bei Heinz Erhard als bei Hagen Rether: „Ich meine dieses Ding/das die Treppe runtergehen kann-/Und es macht ssssss, ssssss … Kenn’ se das nicht?“ Dazu dröhnt Blechgebläse wie im evangelischen Posaunenchor, konterkariert von einem nervösen Schlagzeug. „Es ist im Grunde ‘ne Spirale/es gibt dicke und ganz schmale“. Kein starker Einstieg, aber auch nicht übel. Die zweite Nummer ist „Beate“, ein leises Lied mit einem sehr stimmungsvollen Cello-Piano-Dialog. „Die schönsten sind nie die korrekten Zitate“ singt der Lehrersohn da – wie wahr, Herr Krämer!

Die Musik Krämers ist in den guten Momenten klassisch-konzertant (seine Qualitäten als Pianist sind spätestens nach der Live-CD sehr klar) oder ironisch latin-inspiriert, in den (selteneren) schlechten aber von schlimmer Schunkeloberflächlichkeit, die sich auch mit dem Argument einer spöttischen Brechung nicht rechtfertigen lässt. Textlich hingegen trifft fast alles ins Schwarze – ob getriebene Bosheit oder Sentimentalität, aggressiven Spott oder manchmal eben auch Spaß am Nonsens, was Krämer schreibt, nimmt man ihm ab.

Nach intensivem Hören des „praktischen Teils“ ist klar: Liveauftritte sind Krämers eigentliche Stärke. „Elfenborn“ etwa, ein Stück Kindheitsreminiszenz, kommt so echt und glaubwürdig über die Rampe, dass man die Beklemmung beim Erinnern mitspüren kann. Nicht, weil Krämer so ein toller Sänger wäre – tatsächlich ist seine Art zu singen nicht unbedingt ein Grund, ihm zuzuhören. Sondern weil er großartig textet, mustergültig Klischees auf den Kopf stellt und Plattitüden meidet wie der Satanist aus „Mitleid mit Satan“ das Weihwasser. Die Texte beider Platten wissen zu überzeugen, und wenn Krämer sein preisgekröntes „Deutschlehrer“ in den Saal wütet, schlägt sein Frust über das allenthalben zu beobachtende Schindludertreiben mit der Sprache seine Krallen wuchtig ins Publikum.

Kurzum: Live eher Hagen Rether, ist Krämer im Studio eher die männliche Antwort auf Anett Louisan. Was nicht schlimm ist und nur manchmal schade. Die Doppel-CD kann man kaufen, live sehen sollte man ihn definitiv.